Wir treffen uns um 15.00 Uhr an der Theaterfabrik. Dort haben wir nach dem gestrigen Release-Konzert das Equipment gebunkert. Heisst: 13.00 Uhr aufstehen – Tee trinken – weiter geht’s nach Ladenbergen. Alle sind übernächtigt. Es gibt einen Witz über meine Berufsgruppe, aus meinem anderen Leben: »Wieso stehen Designer um sieben Uhr auf? Weil um acht die Läden schließen.« Guter Witz. Kein Wunder, dass mir die Umstellung jetzt schwer fällt. Draußen ist es immer noch hell.
Auf dem Parkplatz der Theaterfabrik beginnt ein lustiges Dinge-Verschieben-Spiel zwischen vier Autos. Ziel des Spiels ist es, nur Dinge mit zu nehmen, welche zum Musik machen dringend nötig sind. Gewinner ist, wer alles nötige in ein Auto laden kann, ohne dabei einen Musiker zurück zu lassen. Partyreste, Pfandflaschen, blödsinnige Bühnenaccessoires und Daniels DJ-Equipment müssen in den Autos verstaut werden, die nicht zum Konzert fahren. Jeder Mitspieler kann taktisch klug agieren, indem er, zu einem wahllosen Zeitpunkt, ruft: „Heute fahren wir mit meinem Auto!“ Außerdem gibt es Spezialkarten, wie beispielsweise: „Oh fuck – der Kontrabass! Passt der bei dir rein?“
Die Laune auf der Fahrt ist überragend gut. Eine Art Kater-Galgen-Humor, gemischt mit den überwältigenden Gefühlen zum gestrigen Abend. Jemand legt „The War on Drugs“ auf und wir düsen den Irschenberg runter, an Rosenheim vorbei, ins Chiemgau.
Dann passieren wir ein gelbes Schild „Bergen“ – und – sind etwas irritiert über den Ortsnamen. Spielen wir in Bergen oder in Ladenbergen? Haben wir bei Google-Maps alles richtig eingegeben? Gibt es ein Ladenbergen an der Nordsee? Wo sind wir?
Würde der Laden „der“ oder „das“ Ladenbergen oder von mir aus „Laden bei den Bergen in Bergen“ heissen, dann käme mein Sprachzentrum damit irgendwie zurecht. Nein – der Laden in Bergen heisst einfach nur „Ladenbergen“ und befindet sich in der Kurve des Dorfplatzes, eines bayerischen Dorfes namens Bergen. Und – Ladenbergen ist der lässigste Ort im Chiemgau.
Einige Gäste machen sich einen schönen Nachmittag. Weißweinprobe im Plattenladen in der Dorfkurve. Absurd kultivierte Szene im Function-Wear-Voralpenland. Wir parken unterm Maibaum und laden die Gitarren aus. Andi, Besitzer des „Ladenbergen“, wuselt mit Sonnenschein-Ruhe durch das Geschehen und managt gleichzeitig Cappuccino für die Band, Bio-Weißwein und telefonische Reservierungen für das Konzert. Jede Reservierung wird liebevoll mit Vornamen auf die Stühle gepinnt. Rakete und ich freuen uns über den Soundcheck: Gestern Bumms über die Tausendwatt-Anlage – heute Mini-Version auf drei Quadratmetern vorm Vinyl-Regal. Es klingt super und es wird noch besser.
Wir spielen das musikalisch präziseste Konzert dieses Albums. Mein Plektron ist nur einen Nanometer von den Gitarrensaiten entfernt, als ich schon die Luftverdrängung zwischen Elenas Drumstick und ihrem Snarefell spüre. Jedes Haar meiner Gänsehaut kratzt an meinem Hemd, wenn Chris‘ und Katrins Stimmen den Raum zum Schwingen bringen. Das Publikum lauscht, ist mucksmäuschen-still, beginnt dann vorsichtig mit zu klatschen und rastet zur Zugabe völlig aus. Standing Ovations. Sowas haben wir noch nicht erlebt!
Wir quasseln noch lange und herzlich mit den Gästen. Als wir aufbrechen, gibt uns Andi noch Tabak, Bier und einen Pianoständer mit auf den Weg. Den hatte Chris vor einem halben Jahr auf dem Chiemsee-Summer-Festival vergessen. Andi hatte ihn die ganze Zeit für uns aufbewahrt.
Auf der Autobahn drehe ich für Katrin eine Zigarette. Sie schaltet einen Gang runter und überholt einen LKW. Der Fahrtwind weht ihre Glut aus dem Fenster durch die Nacht, Richtung Ladenbergen. Sie denkt eine Sekunde nach, lächelt und sagt: „Wie der Wirt, so die Gäste“.