Kusel – Schalander

Keine Tankstelle gleicht einer anderen. Es gibt Tankstellen, an denen man immer wieder hält. Tankstellen, ab denen man nicht mehr weit zu fahren hat. Es gibt Tankstellen mit lustiger, sinnfreier Verkehrsplanung und Tankstellen in Avantgarde-Architektur. Selbst die Franchise-Modelle der Großkonzerne können die tolpatschige, individuelle Rauheit von Tankstellen nicht kontrollieren. Das freut mich.
Die Tankstelle, an der wir auf dem Weg nach Kusel anhalten, irgendwo im Norden von Baden-Württemberg, hat auch etwas Besonderes – nur weiß ich noch nicht, was. Bullenheiß ist es, das Land auf beiden Seiten der Autobahn ist flach, weit und grün. Das Rauschen der Straße verschwindet in einer warmen Brise. Die Band flip-flopt, vom Winde verweht, zwischen Toilette und Stieleis-Kühlfach umher.
Ich schließe den Tankdeckel und vor mir steht Daniel mit dem Blick eines Allwissenden. Ich weiß, dass er weiß, dass ich gerade über Tankstellen nachdenke und ahne, dass jetzt etwas kommt, was ich noch nicht weiß: „Die Tanke hat was von ’ner alten Grenze in den Osten.“ Und weiter: „Als ob wir nach Kroatien in‘ Urlaub fahren.“ Richtig! Der verdammte Architekt ist verflixt schnell mit solchen Beobachtungen. Diese Tankstelle ist viel zu weitläufig für einen einzigen VW-Bus. Wieso schreibt der Mann eigentlich keine Songs?
Das „Schalander“ in Kusel ist die alte Wirtschaft einer stillgelegten Brauerei. Es gibt zwei Plattenspieler hinter der Theke. Charmant. Die Anlage steht bereits halb aufgebaut im Raum. Andreas, der Veranstalter, hat das Kabelwirrwarr zwar irgendwie liegen lassen, aber – damit können wir arbeiten.
Zum Konzert erscheinen etwa zwanzig Live-Konzert-Abonnement-Gäste. Während ich singe, stelle ich eine kurze Rechnung auf: 6 Stunden Fahrt hin und 5 Stunden Fahrt zurück, ergibt 11 Stunden. Hinzu kommen etwa 4 Stunden Aufbau und Konzert – also 15 Stunden. Multiplizieren wir das mit 6, denn heute sind wir (inklusive Daniel) NUR zu sechst, ergibt das 90 Stunden. Würde man das in Arbeitswochen ausdrücken, so wäre das Ergebnis, je nach Pensum, etwa 2 Wochen. Scheiß Rechnung – denk ich mir – und singe etwas lauter, damit ich mich mehr singen hören als rechnen fühlen kann. Egal, wir spielen für 20 Menschen, denen es sichtlich gefällt.
Chris drückt die Karre zurück durch die pechschwarze Nacht. Irgendwo bei Karlsruhe ergibt sich eine seltsamen Situation: Als drittes Auto stehen wir hinter zwei planlosen LKWs im Mini-Stau. Dann geht es langsam weiter und wir passieren eine improvisierten Absperrung. Zunächst sehen wir reflektierendes Blaulicht, dann menschliche Silhouetten. Plötzlich wird es heiß und hell im Bus: ein völlig zerstörtes Autogerippe brennt lichterloh auf dem Seitenstreifen. Chris gibt wieder Gas. Nach einer Weile, und ungewohnt unsicher, bricht Elena das Schweigen: „Ich dachte, sowas geht nur in Hollywood.“ Sehr gut zusammengefasst. Alle hoffen, dass nur das Auto gebrannt hat.
Vögel bezwitschern die ersten Jogger in München, als Katrin, Chris und ich die Reisereste aus dem Bus räumen. Zwei Wochen Arbeit in einer Nacht. Tiefschlaf.