Heute spielen wir in der „Goldenen Krone“ zu Darmstadt. Ich möchte fair sein mit Darmstadt: Laut Wikipedia ist der ethymologische Ursprung des Stadtnamens nicht geklärt.
Wären die Typen, die wir hinter der Bar antreffen, die Gründungsväter dieser ehrwürdigen Stadt, so wüsste ich, woher der Name kommt. Die geringe Design-Bildung, die diesen beiden Herren in ihrer Jugend zuteil wurde, lässt sich an ihren Tatoos ablesen. Die supercoole Sportbrille will der Dicke auch nicht abnehmen, als Elena ihn herzlich um die nötigsten Infos bittet.
Rakete: „Hi, wir sind die Moonband.“
Barmann: „Aha“.
Rakete: „Wir spielen heute.“
Barmann: „…“
Rakete: „Kannst du uns sagen, wo die Bühne ist?“
Barmann: „Da“ – er zeigt lässig mit dem Daumen auf sein Ohrläppchen.
Mir geht dieser Sonnenbrillen-Rocker-Arsch auf den Sack und ich stelle ihm ein paar knifflige Frage zu Technik und Ablauf. Das Gespräch wird etwas weniger obercool, dennoch nicht besonders aufschlussreich. Ich ekele mich vor meiner eigenen Arroganz, aber diesen frauenfeindlichen Dumpfdeppen will ich heute nicht mehr in meiner Seele haben. Wir verlassen den Club, um auszuladen und ich höre, wie der dünne Tattoo-Schwachkopf den dicken fragt: „Hey, wie heißt die Band? Se Hellbänd?“
Wir versuchen, den Bus zur „Goldenen Krone“ zu navigieren. Einziges Problem: Das Zentrum, in dem sich zufällig auch der Club befindet, ist wegen des sogenannten Schlossgrabenfestes gesperrt. Natürlich haben wir keine Zufahrtsgenehmigung, denn – wir spielen ja nicht auf der supertollen Sparkassen-Bühne.
Also fahre ich mit selbstbewusster Geschwindigkeit auf den Absperrwächter zu. Zum Zeichen meiner Männlichkeit lehne ich sogar meinen Ellbogen aus dem Fenster. Diesem Ober-Nerd in Leuchtweste ist mit Blutsbruderschaft jedoch leider nicht beizukommen. Endlose Diskussionen. Hinter uns hupen bereits Polizei und Prossecco-Zulieferer. „Ihr müsst hier weg!“, sagt die nervöse Leuchtweste.
Katrin ist sichtlich genervt von Darmstädter Männern mit Sonnenbrille und brüllt aus der hinteren Sitzreihe: „Dann lass uns durch!“. Wirkung. Wir können fahren.
Es gibt drei Getränkemarken für jeden. Drei Getränke, um – nach dem Aufbau – zwei weitere Stunden zu warten, bis das Pokalspiel Dortmund – Frankfurt sein vorhersehbares Ende nimmt. Kurz vor Mitternacht beginnen wir endlich, Musik zu machen. Musik machen ist eine Belohnung. Es ist ohnehin die zweitbeste Tätigkeit des Universums. Erstaunlicherweise füllt sich der Raum Song um Song mit Menschen. Manche tanzen, grölen und jubeln. Manche hören verwundert auf die Töne einer ihnen unbekannten Band. Nach zehn Jahren Moonband überrascht es mich immer noch, wie überrascht manche Menschen von uns sind. Das erste mal am heutigen Tag bekommen wir liebevolle Sätze zu hören.
Ich kaufe mir ein Bier an der Theke und genieße eine Zigarette auf der Straße. Betrunkene sind hier nicht anders als in München. Das Konzert und die Nacht stimmen mich ein wenig milder und ich vergesse meinen Zynismus. Wie froh bin ich, dass wir The Moonband aus Munich sind – und nicht se Hellbänd aus Rectumtown.
Den folgenden Sonntag verbringen wir am See. Im Mückensurren stapfen wir den Feldweg nach Hause zu Elena und Daniel. Andrea empfängt uns mit Eiskaffee. Der Abend wird dunkler, wir zünden ein Feuer an und holen die Klampfen aus dem Bus. Ein paar Textzeilen fallen mir und Katrin nicht mehr ein. Macht nichts – Zoja, Andrea, Daniel und Elena summen mit.