Ingelheim – Eurofolkfestival

Es ist ein Arbeits-Freitag und wir müssen das Festival in Ingelheim erreichen, bevor Schnaps im Silbersee spielt! Ich würde es mir nicht verzeihen, Melvin zu verpassen. Nicht, weil es sich gehört, bei Freunden vor der Bühne Präsenz zu zeigen, sondern – ganz klar – aus egoistischen, genusssüchtigen Gründen: Ich mag Melvins als Quatsch verpackten Tiefgang und ich freue mich auf die Liedermachergitarren.
Die Planungen erreichen an diesem Wochenende jedoch ein bislang unerreichtes Maß an Komplexität und das fristgerechte Erscheinen der gesamten Travelparty wird zur logistischen Meisterleistung. Eine jeweils ungerade Anzahl an Musikern plus Partnern, Freunden und ggf. Kindern muss zu jeweils unterschiedlichen Ankunfts- und Abreisetagen, auf eine jeweils gerade Anzahl Hotelzimmer oder Campingplätze mit einer unbestimmten Menge Autos abgeglichen werden. Je KFZ bestehen individuelle Kapazitäten bezüglich Personen- und Gepäckzulast. Gewisse Objekte, wie kaltes Bier oder Gitarren, dürfen das Festival nicht zu früh oder zu spät erreichen und beeinflussen rekursiv die Anzahl der Gaskocher und Schlafsäcke. Falls es außerdem zum Frühstück für mich keinen Darjeeling-Tee geben sollte, werde ich persönlich jemanden umbringen! Mit meinem Micky-Maus-Camping-Teelöffel!
Arme Anna-Lena. Unsere Fotografin ist Mit-Organisatorin vom Eurofolk und – natürlich – für unseren Hühnerhaufen zuständig. Die Sache wird für sie nicht einfacher, als sie erfährt, dass unsere Hotelzimmer am Freitag Abend spontan von den ehrwürdigen Tanahill Weavers belegt werden. Ollo, ebenfalls Organisator, springt ein und nimmt Elena, Katrin und mich am Freitag Abend bei seiner Familie auf.
Es grenzt an ein Wunder, dass wir den Burghof, in dem sich die Liedermacherbühne befindet, sogar vor Beginn des Soundchecks erreichen. Für diese Pünktlichkeit werden wir mit einem übernatürlichen Erlebnis belohnt. Zum Soundcheck von Schnaps im Silbersee singt Melvin allen Ernstes »The Hiker«. Das wirbelt mich kurz, aber heftig durch die Brandung des Realitäts-Stroms: Mein Hirn hört einem Freund zu, der einen Song spielt, den ich vor zehn Jahre geschrieben habe, der davon handelt, dass das Ende des Universums der Beginn der eigenen Seele ist. Melvin du Loop-Arsch! Und Vielen Dank. Es fühlt sich toll an, eine wunderschöne Cover-Version des eigenen Songs zu hören.
Das eigentliche Konzert beamt uns alle vom Alltagsirsinn in den Festival-Modus. Der Stress der letzten Tage ist wie weggeblasen und ein Lach-Flash folgt dem Nächsten. Die drei Musiker bekommen auch das Nachmittags-Schneidersitz-Publikum in Bewegung. Mega Bühnenpräsenz. Umso bewundernswerter, als wir anschließend erfahren, daß der Monitorsound alles andere als ideal war.
The Moonband steht erst am Samstag auf der Bühne und so nutzen Melvin und ich den restlichen Abend, um plappernd über das Festival zu hopsen. Leider sehen wir uns viel zu selten. Schön, dass uns die Musik doch immer wieder einander in die Arme treibt. Irgendwann, mitten in einer philosophischen Grundsatzdiskussion, beschließt Melvin, mit meinem letzten Zwanni, frisches Bier für uns zu holen. Fehler! Ich verliere ihn in der Menge. Man kennt das aus Horrorfilmen: Wenn sich zwei Menschen gleichzeitig suchen, werden beide vom Monster gefressen. Also bleibe ich brav am vereinbarten Treffpunkt und recke meinen Kopf über das Publikum, während ich langsam in der Festivalsonne verdurste. Nach etwa einer Stunde gebe ich auf. Dehydriert und pleite schleppe ich mich zum Getränkestand. Als ich mich in die schier endlose Reihe einordne, stelle ich verwundert fest, dass der Spaßvogel jetzt hinter der Bar steht und ausschenkt. What the…?
Dieses Bier geht auf ihn und der Abend endet in einer Session an der Burgmauer. Es get lustig zur Sache. Judith, die Violinistin der Schnäpse, entpuppt sich als Multitalent. Es fällt ihr nicht besonders schwer, uns für ein paar Songs zu begleiten. Als sich dann eine Gruppe Musiker aus dem arabischen Raum hinzugesellt und sich ihre Geige ausleiht, schnappt sie sich kurzerhand ein Akkordeon und jammed selbstverständlich mit. Oberhammer! Die Konversation hakt, aber das Musizieren fließt, dank Judith. Unseren CDU/CSU-Pappenheimern sollte mal einer erklären, dass es für ein Zusammenspiel ein paar mehr Halbtöne braucht, als die, die unser westliches Harmonieverständnis bietet. Umfangreicher Musikunterricht wäre ein Lösungsansatz.
Am Samstag auf der Bühne stelle ich fest, dass ich, vermutlich wegen Organisations-Unübersicht, unseren Kabelkoffer zu Hause vergessen habe. Diese Schludrigkeit ärgert mich. Ich könnte mich ohrfeigen und verkabele unsere Floor Boards mit Kabelresten der Bühnentechniker. Folkband hin oder her – vor 300 Menschen ohne Kabel zu spielen, ist wie ein Freibadkiosk ohne Pommes. Die Freude, in Ingelheim zu spielen, lassen wir uns trotzdem nicht nehmen. Es läuft gut und der Monitorsound ist bombastisch. Wie bereits vor einigen Jahren wird unser Konzert abrupt unterbrochen. Wir spielen etwa unseren fünften Song, als ein ohrenbetäubendes Läuten einsetzt. Der Kirchturm der Burgkirche hat Stuhlgang. Gegen Gottes Gebimmel hat keine P.A. der Welt eine Chance. Ich nutze die Pause für ein atheistisches Plädoyer und bin voll in meinem Element. Eine Riesengaudi. Die folgende Nacht wird ähnlich gefeiert wie die Letzte. Von unserer Wagenburg, ein wenig oberhalb des Areals, verfolgen wir den Headliner. Eine Pop-Folk-Funk-Hip-Hop-Metall-Jazz-Druidenband. Wir haben Spaß.
Nach einer großen Verabschiedungsrunde verlassen wir am Sonntag Vormittag das Ingelheimer Eurofolkfestival 2017. Katrin cruised den Bus durch die Altstadt. Ich hänge meine Festivalzehen aus dem Fenster in den Sonnenwind und schlürfe, ohne Mordlust, einen lauwarmen Club Mate.

Darmstadt – Goldene Krone

Heute spielen wir in der „Goldenen Krone“ zu Darmstadt. Ich möchte fair sein mit Darmstadt: Laut Wikipedia ist der ethymologische Ursprung des Stadtnamens nicht geklärt.
Wären die Typen, die wir hinter der Bar antreffen, die Gründungsväter dieser ehrwürdigen Stadt, so wüsste ich, woher der Name kommt. Die geringe Design-Bildung, die diesen beiden Herren in ihrer Jugend zuteil wurde, lässt sich an ihren Tatoos ablesen. Die supercoole Sportbrille will der Dicke auch nicht abnehmen, als Elena ihn herzlich um die nötigsten Infos bittet.
Rakete: „Hi, wir sind die Moonband.“
Barmann: „Aha“.
Rakete: „Wir spielen heute.“
Barmann: „…“
Rakete: „Kannst du uns sagen, wo die Bühne ist?“
Barmann: „Da“ – er zeigt lässig mit dem Daumen auf sein Ohrläppchen.
Mir geht dieser Sonnenbrillen-Rocker-Arsch auf den Sack und ich stelle ihm ein paar knifflige Frage zu Technik und Ablauf. Das Gespräch wird etwas weniger obercool, dennoch nicht besonders aufschlussreich. Ich ekele mich vor meiner eigenen Arroganz, aber diesen frauenfeindlichen Dumpfdeppen will ich heute nicht mehr in meiner Seele haben. Wir verlassen den Club, um auszuladen und ich höre, wie der dünne Tattoo-Schwachkopf den dicken fragt: „Hey, wie heißt die Band? Se Hellbänd?“
Wir versuchen, den Bus zur „Goldenen Krone“ zu navigieren. Einziges Problem: Das Zentrum, in dem sich zufällig auch der Club befindet, ist wegen des sogenannten Schlossgrabenfestes gesperrt. Natürlich haben wir keine Zufahrtsgenehmigung, denn – wir spielen ja nicht auf der supertollen Sparkassen-Bühne.
Also fahre ich mit selbstbewusster Geschwindigkeit auf den Absperrwächter zu. Zum Zeichen meiner Männlichkeit lehne ich sogar meinen Ellbogen aus dem Fenster. Diesem Ober-Nerd in Leuchtweste ist mit Blutsbruderschaft jedoch leider nicht beizukommen. Endlose Diskussionen. Hinter uns hupen bereits Polizei und Prossecco-Zulieferer. „Ihr müsst hier weg!“, sagt die nervöse Leuchtweste.
Katrin ist sichtlich genervt von Darmstädter Männern mit Sonnenbrille und brüllt aus der hinteren Sitzreihe: „Dann lass uns durch!“. Wirkung. Wir können fahren.
Es gibt drei Getränkemarken für jeden. Drei Getränke, um – nach dem Aufbau – zwei weitere Stunden zu warten, bis das Pokalspiel Dortmund – Frankfurt sein vorhersehbares Ende nimmt. Kurz vor Mitternacht beginnen wir endlich, Musik zu machen. Musik machen ist eine Belohnung. Es ist ohnehin die zweitbeste Tätigkeit des Universums. Erstaunlicherweise füllt sich der Raum Song um Song mit Menschen. Manche tanzen, grölen und jubeln. Manche hören verwundert auf die Töne einer ihnen unbekannten Band. Nach zehn Jahren Moonband überrascht es mich immer noch, wie überrascht manche Menschen von uns sind. Das erste mal am heutigen Tag bekommen wir liebevolle Sätze zu hören.
Ich kaufe mir ein Bier an der Theke und genieße eine Zigarette auf der Straße. Betrunkene sind hier nicht anders als in München. Das Konzert und die Nacht stimmen mich ein wenig milder und ich vergesse meinen Zynismus. Wie froh bin ich, dass wir The Moonband aus Munich sind – und nicht se Hellbänd aus Rectumtown.
Den folgenden Sonntag verbringen wir am See. Im Mückensurren stapfen wir den Feldweg nach Hause zu Elena und Daniel. Andrea empfängt uns mit Eiskaffee. Der Abend wird dunkler, wir zünden ein Feuer an und holen die Klampfen aus dem Bus. Ein paar Textzeilen fallen mir und Katrin nicht mehr ein. Macht nichts –  Zoja, Andrea, Daniel und Elena summen mit.

Kusel – Schalander

Keine Tankstelle gleicht einer anderen. Es gibt Tankstellen, an denen man immer wieder hält. Tankstellen, ab denen man nicht mehr weit zu fahren hat. Es gibt Tankstellen mit lustiger, sinnfreier Verkehrsplanung und Tankstellen in Avantgarde-Architektur. Selbst die Franchise-Modelle der Großkonzerne können die tolpatschige, individuelle Rauheit von Tankstellen nicht kontrollieren. Das freut mich.
Die Tankstelle, an der wir auf dem Weg nach Kusel anhalten, irgendwo im Norden von Baden-Württemberg, hat auch etwas Besonderes – nur weiß ich noch nicht, was. Bullenheiß ist es, das Land auf beiden Seiten der Autobahn ist flach, weit und grün. Das Rauschen der Straße verschwindet in einer warmen Brise. Die Band flip-flopt, vom Winde verweht, zwischen Toilette und Stieleis-Kühlfach umher.
Ich schließe den Tankdeckel und vor mir steht Daniel mit dem Blick eines Allwissenden. Ich weiß, dass er weiß, dass ich gerade über Tankstellen nachdenke und ahne, dass jetzt etwas kommt, was ich noch nicht weiß: „Die Tanke hat was von ’ner alten Grenze in den Osten.“ Und weiter: „Als ob wir nach Kroatien in‘ Urlaub fahren.“ Richtig! Der verdammte Architekt ist verflixt schnell mit solchen Beobachtungen. Diese Tankstelle ist viel zu weitläufig für einen einzigen VW-Bus. Wieso schreibt der Mann eigentlich keine Songs?
Das „Schalander“ in Kusel ist die alte Wirtschaft einer stillgelegten Brauerei. Es gibt zwei Plattenspieler hinter der Theke. Charmant. Die Anlage steht bereits halb aufgebaut im Raum. Andreas, der Veranstalter, hat das Kabelwirrwarr zwar irgendwie liegen lassen, aber – damit können wir arbeiten.
Zum Konzert erscheinen etwa zwanzig Live-Konzert-Abonnement-Gäste. Während ich singe, stelle ich eine kurze Rechnung auf: 6 Stunden Fahrt hin und 5 Stunden Fahrt zurück, ergibt 11 Stunden. Hinzu kommen etwa 4 Stunden Aufbau und Konzert – also 15 Stunden. Multiplizieren wir das mit 6, denn heute sind wir (inklusive Daniel) NUR zu sechst, ergibt das 90 Stunden. Würde man das in Arbeitswochen ausdrücken, so wäre das Ergebnis, je nach Pensum, etwa 2 Wochen. Scheiß Rechnung – denk ich mir – und singe etwas lauter, damit ich mich mehr singen hören als rechnen fühlen kann. Egal, wir spielen für 20 Menschen, denen es sichtlich gefällt.
Chris drückt die Karre zurück durch die pechschwarze Nacht. Irgendwo bei Karlsruhe ergibt sich eine seltsamen Situation: Als drittes Auto stehen wir hinter zwei planlosen LKWs im Mini-Stau. Dann geht es langsam weiter und wir passieren eine improvisierten Absperrung. Zunächst sehen wir reflektierendes Blaulicht, dann menschliche Silhouetten. Plötzlich wird es heiß und hell im Bus: ein völlig zerstörtes Autogerippe brennt lichterloh auf dem Seitenstreifen. Chris gibt wieder Gas. Nach einer Weile, und ungewohnt unsicher, bricht Elena das Schweigen: „Ich dachte, sowas geht nur in Hollywood.“ Sehr gut zusammengefasst. Alle hoffen, dass nur das Auto gebrannt hat.
Vögel bezwitschern die ersten Jogger in München, als Katrin, Chris und ich die Reisereste aus dem Bus räumen. Zwei Wochen Arbeit in einer Nacht. Tiefschlaf.

Bergen – Ladenbergen

Wir treffen uns um 15.00 Uhr an der Theaterfabrik. Dort haben wir nach dem gestrigen Release-Konzert das Equipment gebunkert. Heisst: 13.00 Uhr aufstehen – Tee trinken – weiter geht’s nach Ladenbergen. Alle sind übernächtigt. Es gibt einen Witz über meine Berufsgruppe, aus meinem anderen Leben: »Wieso stehen Designer um sieben Uhr auf? Weil um acht die Läden schließen.« Guter Witz. Kein Wunder, dass mir die Umstellung jetzt schwer fällt. Draußen ist es immer noch hell.
Auf dem Parkplatz der Theaterfabrik beginnt ein lustiges Dinge-Verschieben-Spiel zwischen vier Autos. Ziel des Spiels ist es, nur Dinge mit zu nehmen, welche zum Musik machen dringend nötig sind. Gewinner ist, wer alles nötige in ein Auto laden kann, ohne dabei einen Musiker zurück zu lassen. Partyreste, Pfandflaschen, blödsinnige Bühnenaccessoires und Daniels DJ-Equipment müssen in den Autos verstaut werden, die nicht zum Konzert fahren. Jeder Mitspieler kann taktisch klug agieren, indem er, zu einem wahllosen Zeitpunkt, ruft: „Heute fahren wir mit meinem Auto!“ Außerdem gibt es Spezialkarten, wie beispielsweise: „Oh fuck – der Kontrabass! Passt der bei dir rein?“
Die Laune auf der Fahrt ist überragend gut. Eine Art Kater-Galgen-Humor, gemischt mit den überwältigenden Gefühlen zum gestrigen Abend. Jemand legt „The War on Drugs“ auf und wir düsen den Irschenberg runter, an Rosenheim vorbei, ins Chiemgau.
Dann passieren wir ein gelbes Schild „Bergen“ – und – sind etwas irritiert über den Ortsnamen. Spielen wir in Bergen oder in Ladenbergen? Haben wir bei Google-Maps alles richtig eingegeben? Gibt es ein Ladenbergen an der Nordsee? Wo sind wir?
Würde der Laden „der“ oder „das“ Ladenbergen oder von mir aus „Laden bei den Bergen in Bergen“ heissen, dann käme mein Sprachzentrum damit irgendwie zurecht. Nein – der Laden in Bergen heisst einfach nur „Ladenbergen“ und befindet sich in der Kurve des Dorfplatzes, eines bayerischen Dorfes namens Bergen. Und – Ladenbergen ist der lässigste Ort im Chiemgau.
Einige Gäste machen sich einen schönen Nachmittag. Weißweinprobe im Plattenladen in der Dorfkurve. Absurd kultivierte Szene im Function-Wear-Voralpenland. Wir parken unterm Maibaum und laden die Gitarren aus. Andi, Besitzer des „Ladenbergen“, wuselt mit Sonnenschein-Ruhe durch das Geschehen und managt gleichzeitig Cappuccino für die Band, Bio-Weißwein und telefonische Reservierungen für das Konzert. Jede Reservierung wird liebevoll mit Vornamen auf die Stühle gepinnt. Rakete und ich freuen uns über den Soundcheck: Gestern Bumms über die Tausendwatt-Anlage – heute Mini-Version auf drei Quadratmetern vorm Vinyl-Regal. Es klingt super und es wird noch besser.
Wir spielen das musikalisch präziseste Konzert dieses Albums. Mein Plektron ist nur einen Nanometer von den Gitarrensaiten entfernt, als ich schon die Luftverdrängung zwischen Elenas Drumstick und ihrem Snarefell spüre. Jedes Haar meiner Gänsehaut kratzt an meinem Hemd, wenn Chris‘ und Katrins Stimmen den Raum zum Schwingen bringen. Das Publikum lauscht, ist mucksmäuschen-still, beginnt dann vorsichtig mit zu klatschen und rastet zur Zugabe völlig aus. Standing Ovations. Sowas haben wir noch nicht erlebt!
Wir quasseln noch lange und herzlich mit den Gästen. Als wir aufbrechen, gibt uns Andi noch Tabak, Bier und einen Pianoständer mit auf den Weg. Den hatte Chris vor einem halben Jahr auf dem Chiemsee-Summer-Festival vergessen. Andi hatte ihn die ganze Zeit für uns aufbewahrt.
Auf der Autobahn drehe ich für Katrin eine Zigarette. Sie schaltet einen Gang runter und überholt einen LKW. Der Fahrtwind weht ihre Glut aus dem Fenster durch die Nacht, Richtung Ladenbergen. Sie denkt eine Sekunde nach, lächelt und sagt: „Wie der Wirt, so die Gäste“.

München – Theaterfabrik

Krass, heute ist es so weit. Release Show in München. Der Vorverkauf läuft schleppend. Hinzu gesellt sich ein flaues Magengefühl zum gestrigen Zoff in Regensburg. Die halbe Band leidet unter Fieber. Mist – ich hab Bammel! „Wolln‘ erstmal Tee machen“ – sagt Sven Regener – Recht hat er!
Ich freue mich auf Martin. Er hat unsere ersten vier Alben produziert und kümmert sich heute Abend um den Sound. Seine U-Bahn streikt, also hole ich ihn mit dem VW-Bus ab und wir fahren gemeinsam zur Theaterfabrik. Der PA-Aufbau der Tontechnik-Firma läuft professionell und ruhig – etwas zu ruhig für unsere Vorstellungen.
Als wir endlich mit dem Soundcheck loslegen, denken meine Freunde das erste Mal an das Konzert: Whatsapp-Terror! Zwischen G-Dur und A-Moll kommen Fragen wie „Wann geht’s los, Alter?“ oder „Gibt’s da Bier?“. Ich beantworte alles mit der Geduld eines SMS-Stoikers und bitte Martin um etwas mehr Mandoline auf Elenas Monitorbox. Männer sind eben doch multitasking-fähig.
Während Martin und ich das Kabel-Gewirr kontrollieren, wieseln die Anderen in der Halle. Katrin deckt das Catering Backstage, Felix managt Gästeliste und Aftershow-Party, Daniel und Zoja bauen den Merch-Stand auf, Chrissy fotografiert wie eine Wilde, Elena und Flo kümmern sich um Stage-Design und Licht. Ich stehe auf der leeren Bühne und könnte heulen: Mit was für unglaublich kreativen, liebevollen, Vorwärts-Menschen darf ich meine Zeit auf der Erde eigentlich verbringen? Dieser Tag wird gut!
Und dann – dann gehen die Türen auf und mich haut’s von den Socken. Unglaublich, wer da alles kommt. Fans, Freunde – und ein paar Menschen, mit denen ich niemals gerechnet hätte.
Otto (Schellinger) eröffnet den Abend. Leider ist das Interesse des Publikums noch mehr bei sich selbst. Es stimmt mich ein wenig traurig, denn Otto und Chris sind richtig gut. Als Triska spielen, vergesse ich zwischenzeitlich, dass ich auch noch auf die Bühne muss. Fuck – jetzt geht’s los.
Wir treffen uns backstage. Eine kleine Diskussion über den Ablauf, dann schlüpfen wir in Elenas Stage-Outfits und das Licht auf der Bühne geht aus – Pause. Meine Oberschenkel zittern. Wir hören die Stille im Publikum und umarmen uns. Chris gibt das Kommando: „Los geht’s!“
Es fällt mir schwer, den Ablauf wiederzugeben. Absoluter Vollrausch. Anfangs pfeift es noch auf der Bühne. Katrin lächelt es weg und spielt irgendwie und souverän weiter. Markus, Thomas und Letty kommen nach und nach auf die Bühne. Andy wird gefeiert wie ein verlorener Sohn. Ich tanze mit Chris und Gregor als wäre ich selbst der Teufel. Elena lächelt und groovt. Katrin trifft jeden ihrer abermillionen Töne. Mann, sind die Mädels sexy. Als mir der erste Schweiß über die Augenbrauen schwappt, nehme ich mir eine Sekunde Zeit, um mein Leben zu genießen. Flo dreht die Scheinwerfer auf das Publikum und ich realisiere, wie viele Menschen uns zu pfeifen, klatschen und singen. Jetzt wäre ein guter Moment zum Sterben.
Die Aftershow-Party scheppert. Gin-Tonic-Leuchten im Neonlicht. Daniel und Felix spielen Sixties-Platten bis zur Dämmerung. Eine Plattenspielernadel bricht und die Jungs beginnen mit Burger-DJ-ing. Felix hebt die verbliebene Nadel, Daniel schleudert die nächste Scheibe auf den Grill. Buff – Led Zeppelin.
Katrin fährt den Bus quer durch München in die WG. Zu viert sitzen wir am Esstisch. Wir hören Elbow in der Morgensonne und glotzen blöd.
Was für n Tag.

Regensburg – Dudes 4

Regensburg. Florenz an der Donau. Nirvana des Regen. Kairo in der Oberpfalz. Scheiß-Gig. Nicht weil der Laden scheiße ist, oder wir scheiße spielen, sondern weil im Team offensichtlich jemand „pain in the ass“ hat. Zugegeben, es ist warm draußen und auch noch Maidult und das Publikum besteht aus nur etwa sieben Hörern. Dennoch – diesen sieben scheint unser Sound zu gefallen, und das tut richtig gut. Ein glückliches Mädel im Publikum hat sogar, wie wir später erfahren, eine Überlandfahrt auf sich genommen. Ich singe lieber vor einem einsamen, begeisterten Menschen als vor hundert Gschaftlhubern von der Frankfurter Musikmesse.
Tom, der auch das Programm organisiert, kümmert sich liebevoll um den Mix. Markus, der Wirt, geizt nicht mit Getränken und wir spielen auf den Punkt. Schade, dass unser Beef auf der Heimfahrt noch eskaliert. Morgen ist das große Release Konzert in München – spannend.

Obermarchtal – Kreuz

Das „Kreuz“ in Obermarchtal ist ein Ort bei Ulm, den man über ein einstündiges Landstraßen-Gegurke erreicht. Macht nichts. Das Wetter ist irisch schön und Felix gibt mir eine Einführung in das Werk von Olli Schulz. Manche Texte hauen mich echt vom Hocker. Als wir mit dem Bus ankommen, ist der Caddy schon seit einer Weile vor Ort. Team Travelparty kennt bereits alle Neuigkeiten aus dem Dorf. Wer wen heute geheiratet hat, wie die Verwandschaftsverhältnisse sind und woran der Schwiegervater gestorben ist. Im „Kreuz“ läuft noch Bundesliga und Katrin und Gregor haben sich offensichtlich von einem Fußballfan die Backe vollquatschen lassen. Auf das Konzert wollte er dennoch nicht kommen – er habe ja schließlich bereits die dritte Frau. Das ergibt Sinn. Jetzt verstehe ich auch, weshalb in Obermarchtal kaum jemand zu Konzerten kommt.
Nach einem reibungslosen Soundcheck (wir haben unsere eigene Anlage dabei) gibt es ein gutes und deftiges Abendessen. Auf Gregors Frage, wie man das Gericht wohl nennen würde, bekommt er vom Koch die Antwort: Kartoffeln mit Möhren und Fleisch. Geiler Typ, denk ich mir. Überhaupt ist der Koch nicht auf den Mund gefallen. Wir wechseln ein paar nette Sätze beim Rauchen. Aber Gregor, das Smalltalk-Talent, setzt noch einen drauf – jetzt quatschen die zwei über Imkerei. Vollprofis.
Nach dem zweiten Song erzähle ich irgendwas über unser Instrumentarium. Ob das auch auf Schwäbisch ginge, rülpst es von zwei Typen an der Bar, von denen wir bislang nur ihre Stiernacken bewundern durften. Ich gebe ihnen ein kurzes Beispiel, wie meine Ansagen auf Bayerisch klingen und dass ich es deshalb heute Abend, zu Verständigungszwecken, vorziehen würde, Hochdeutsch zu sprechen. Die zwei Prolls verlassen die Wirtschaft und das Konzert bekommt eine angenehme Wendung. Den anwesenden Gästen scheint es dann doch zu gefallen. Eine Gruppe Mädels schwingt sogar das Tanzbein. Mein übliches halbphilosophisches Gefasel über Solipsismus erspare ich dem Publikum trotzdem.
Heute Nacht geht es wieder nach Hause nach München. Felix fährt uns bei Bob Dylan durch die wetterleuchtende Nacht.

Stuttgart – Galao

Zugegeben – wir sind alle ein bisschen angeschlagen, als wir das Galao in Stuttgart erreichen. Jedoch werden wir mit so viel Herzlichkeit und gutem Kaffee empfangen, dass die Lebensgeister bald wieder geweckt sind. Und mit den Lebensgeistern kommt auch wieder das übliche Geschmarre – jetzt ist offensichtlich mal Skywalker dran, dem heute Morgen nichts Bekloppteres einfiel, als acht Scheiben Leberkäse rauszubraten. An sich eine gute Tat, nur leider zur falschen Uhrzeit. Jetzt fahren wir halt 7 Scheiben Leberkäse durch die Gegend.
Dann ereilt mich die Info, dass Rainer, der Chef höchstpersönlich, heute den Sound macht. Ich muss im Himmel sein. Ob ich auch was mit Tontechnik mache, fragt er. Schallendes Gelächter in der Runde – „Ja, zwangsläufig“. Rainer zaubert gewissenhaft einen top Sound auf der Bühne und im Raum. Das erspart uns am Ende auch noch so viel Stress, dass wir sogar noch zwei Stunden Zeit haben, das Essen zu genießen und mit unseren Stuttgarter Freunden zu ratschen. Überhaupt wird alles im Galao mit viel Liebe und Achtsamkeit gemacht – man sollte sich vom improvisierten Charme der Bar nicht täuschen lassen. Offensichtlich ist es auch genau das, was die Stuttgarter am Galao zu schätzen wissen. Denn um 21:00 Uhr finden wir uns auf einer extra kuscheligen Bühne in einem heillos überfüllten Raum vor einem Publikum wieder, dass nicht nur mitlacht, -singt und -klatscht, sondern ganz offensichtlich auch zuhört. Oh Mann, das tut richtig gut, und man merkt das auch an unserem Spiel. Wenn wir also gut waren, liebes Galao, dann lag das auch an euch! Uns hat es jedenfalls super viel Spaß gemacht.
Der Abend klingt mit einer Gruppe äußerst gut gelaunter Schweizer aus. Lustig und trinkfest. Einer der Jungs hat bei Daniel am Merchstand, auf einen Schlag, unsere komplette Diskographie erworben.
Übernachten können wir im Revier 5. Eine alte Polizeistation, in der jetzt einer 10er-WG wohnt. Jo vom Galao ist einer der Mitbewohner und gibt uns noch eine kleine Führung. Nebst Party- und Bandkeller existieren auch noch zwei Gefängniszellen. Für uns gibt es aber liebevoll gemachte Betten und noch ein Absacker-Bier im Raucherzimmer.
Nach dem ordentlichen und gehaltvollen Frühstück im Galao geht es durch den Nieselregen schweren Herzens zurück nach München.
Katrin hat sich noch 3 Stücke Schokotarte mitgeben lassen.

Augsburg – Bob's Burger

Heute läuft alles ziemlich entspannt. Team Aufbau ist mittags schon in Augsburg. Zwar müssen wir den Ton wieder mal selbst managen, dafür haben wir aber ausnahmsweise mal genügend Zeit. Showtime ist erst um 23.00 Uhr. Nachmittags haben wir noch einen Radio Termin bei Kanal C. Tim führt mit uns sein erstes Interview. Super Fragen bei allerdings gefühlten 50 Grad im Studio. Ich spiele „Go Brother Go“ live und mir rinnt die Sauce runter, als wär ich in der Sauna. Nach dem Interview zeigt uns ein freundlicher Moderator, wo man die Klimaanlage anschaltet. Na macht nichts – wir werden heute noch mehr schwitzen.
Das Konzert geht volle Sahne ab. Ich frag mich ernsthaft, wofür ich Augenbrauen habe. Ich dachte, die sollten dem jagenden Mann den Schweiß aus den Augen halten, damit er seine Beute trifft. Ich treffe noch nicht mal mehr die richtigen Akkorde. Im Eifer des Gefechts geht das allerdings Gottseidank ohnehin unter. Und dann der Oberhammer: Bei Zugabe 2 stehen auf einmal die Bläser-Jungs von Dub à la Pub auf der Bühne und supporten uns bei „Fisherman’s Blues“. Megafett!
Heute Nacht werden wir von Charlotte super liebevoll beherbergt. Das gibt Energie für Stuttgart! Tausend Dank!
Fetzen Abend, Augsburg! Danke dafür.

Meran – Ost West

An einem sonnigen Tag geht es über den noch schneebedeckten Brenner. Auf der anderen Seite der Alpen kann man den kommenden Sommer schon riechen. Wir haben noch eine Stunde bis zum Soundcheck, trinken ein Bier in der Sonne und spielen Urlaub.
Um den Club mit dem Bus zu erreichen, fährt man einmal um Meran herum und wurschtelt sich anschließend von oben wieder durch die Altstadt mit eingeklappten Seitenspiegeln rückwärts durch Gassen und zwei enge Tore. Lieber Gott – ich will doch keinen Nightliner!
Die Crew im Ost West ist super lieb und wir werden herzlich empfangen. Allerdings stellt sich auch leider bald heraus, dass sich für die PA niemand so richtig verantwortlich fühlt. Ich schalte also mal wieder in den Techniker-Stress-Modus um und verkabele den ganzen Mist. Die Frage ist nicht, ob ich rechtzeitig bis zum Einlass fertig werde, sondern ob meine Laune rechtzeitig bis zum ersten Song wieder in den grünen Bereich kommt. Aber die restliche Band kennt diesen Zustand gut genug und schafft es souverän, mich mit ein paar kleinen Tricks wieder auf die Schiene zu setzten. Hey! Ich durchschaue euch! Trotzdem Danke!
Auf einmal macht es Rumms und die Bude ist voll. Das Set läuft heute schon viel flüssiger und das Publikum ist aktiv am Zuhören und Mitsingen. Wow Leute – Danke für diesen hammer-verschwitzten Abend und die schönen Gespräche nach der Show.
Nachts um 1.00 geht es dann wieder zurück durch die Gassen und auf die Landstraße durchs Vinschgau, wo wir eine halbe Stunde hinter Meran übernachten.
Heute morgen fällt es uns schwer, wieder zurück zu fahren. Die Luft riecht so nach Süden und es wird ein wunderschöner Tag. Lieber würden
wir auf einen der umliegenden Berg hoch stapfen, als die nächsten 5 Stunden auf der Straße zu verbringen. Aber halt! Geil! Wir müssen keinen Sport machen. Wir haben ja die Instrumente im Kofferraum. Also auf nach Österreich.

Oberaudorf – Rolleria

Eine hochinteressante Mischung aus Inntal-Schnee (von oben) und Hamburg-ähnlichem Regen (von links unten) begleiten unsere Anfahrt. Soll mir mal jemand einen guten Grund nennen, den Holzofen nicht anzuwerfen, der den Raum zwischen Bühne und Bar wohlig aufwärmt. Die Einrichtung besteht aus allerlei Vespas und  Flohmarktmöbeln. Julia von der Rolleria, die mir nach dem Konzert auch noch meinen vergessenen Hut hinterher fährt, kümmert sich herzlich um uns. Saugemütlich ist’s!
Und dann – dann geht’s endlich los. Der erste Ton unserer neuen Platte live. Ich hätte nicht gedacht, dass dieser Moment jemals kommt. Komische Sache mit der Zeit: Sie schreitet nicht voran, tut das aber meistens viel zu schnell. Im ersten Set wackeln wir noch ein bisschen – klar, alles, was wir seit Monaten kennen, ist der Sound aus unserem Bandraum. Auf die E-Gitarre müssen heute stärkere Saiten! Chris und ich schwimmen am Instrument wie zwei Schüler im Seepferdchenbecken. Das zweite Set ist dann schon viel stabiler und macht ordentlich Fetz. Ich glaube, wir konnten dem Publikum einen schönen Abend schenken.
Eigentlich hatten wir vor, auf einer Hütte oberhalb von Oberaudorf zu übernachten, aber 30 cm Neuschnee war uns dann doch zu viel für den voll beladenen Bus. Über einen genialen Zufall durften wir dann aber in der coolsten und schönsten WG einkehren, die wir je gesehen haben. Was für ein Ausblick über das Tal! Danke Markus und Monique für Eure Gastfreundschaft. Ihr seid immer herzlich willkommen bei uns in München.

Schlechtes Omen? The Moonband spielt viel zu gute Generalprobe.

Heute haben wir unsere letzte Probe vor der Tour abgehalten. Leider war diese musikalisch viel zu gut für eine Generalprobe. Paragraph 4 des Universellen Gesetzbuches für Folkangelegenheiten (UGFa) besagt, dass “ […] im Ausgleich für musikalisch perfekte Generalproben entweder mit veganem Tour-Catering oder saurem Wein zu rechnen ist. Bei vorsätzlich gut gespielten Generalproben kann sogar der Keilriemen des Tour-Raumschiffs reißen.“ Zitat Ende. Das ist natürlich etwas beängstigend, trotzdem freuen wir uns, dass es nach der Songwriting-, Studio- und Designarbeit jetzt auf Tour geht. Universum, sieh dich vor! Wir sind wieder unterwegs.